Reise

 

Aufzeichnungen eines Flugreisenden


26. Februar 1996
Mist! Die Stammtischgeneralversammlung hat entschieden, das Stammtischguthaben in Mallorca zu verjubeln. Alle Vorschläge, auf dem Festland zu bleiben, haben nichts gefruchtet. Wenn bis dahin nicht noch eine Brücke gebaut wird, bin ich wohl dazu gezwungen, alle Prinzipien über Bord zu werfen und mich in so einen komischen Vogel zu setzen.


30. April 1997
So - die letzte Anzahlung ist getätigt. Wenn ich jetzt kneife, wird's teuer. Es gibt also kein Zurück mehr.


Sonntag, 01. Juni 1997, 01.00 Uhr
Ach jeh, in ein paar Stunden ist es so weit: Mein erster Flug. Angst? Nein! - Wieso? Bin ich doch nicht der Einzige, der im Falle eines Absturzes zu Boden geht. Bestimmt hatte ich genug Zeit, noch ein letztes Mal mahnend den Zeigefinger zu heben und darauf zu verweisen, dass ich, wie eigentlich immer, mal wieder recht hatte. - Diese Klugscheißer mit ihren zurechtgebogenen Statistiken. Mag ja sein, dass die Wahrscheinlichkeit, dass einem im Flugzeug etwas passiert, 10mal geringer ist als im Auto - Aber! Wenn mir auf halber Strecke der Sprit ausgeht, bin ich doch im Flugzeug 1000mal gelackmeierter als im Auto. - Diese Feststellung ist doch wohl nicht zu bestreiten?


06:00 Uhr
Alles trifft sich zur Abfahrt in Münster an der DJK-Halle. Es haben sich einige Menschen aus dem Nachtleben hinzugesellt und schenken an die Beteiligten Schnaps aus. Mit dem wissenschaftlichen Hintergrund, dass Schnaps im leeren Magen eh' nicht lange verweilt, genehmige ich mir ein paar Gläser. Dem mitgebrachten Frühstück unseres Stammtischbruders Michel gegenüber bin ich etwas skeptischer. Es ist von der Menge her doch so viel, dass es bei plötzlich auftretender Reiseübelkeit Spuren im Flugzeug hinterlassen und mir damit Unannehmlichkeiten bereiten könnte. Also packe ich den halben Ring Fleischwurst und das halbe Brötchen ein, um es dann auf Mallorca verzehren zu können.


06:45 Uhr
Wir sind am Flughafen angekommen. Kann mir mal einer sagen, was wir jetzt bis zum Abflug um 08:30 Uhr machen sollen?!


06:50 Uhr
Ich krieg' die Krise! Bei der Gepäckaufgabe steht eine Schlange, bei der kein Ende zu sehen ist. Die meisten Reisenden ertragen aber das Schlangestehen in Demut – wahrscheinlich alle aus dem Osten.


07:30 Uhr
Juhuu! Das Gepäck ist aufgegeben. Jetzt nichts wie rein in den Vogel.


07:35 Uhr
Nach einem beschwerlichen Fußmarsch sind wir endlich an der Sicherheitskontrolle angekommen. Auch hier heißt es wieder Schlangestehen. Während der Wartezeit mustere ich den sonnengegerbten Kontrolleur. Ich frage mich ernsthaft, ob Homosexualität bei Flughäfen und Fluggesellschaften ein zwingendes Einstellungskriterium ist.


07:40 Uhr
Jetzt bin ich an der Reihe, durch die Sicherheitsschleuse zu gehen. „Würten Sie pitte lhren Gürthel ausziehen - Dahnkhe!“, haucht mir der Kontrolleur zu. - Andere müssen das nicht - wieso dann ich? - Was soll's. Um die Sache nicht unnötig in die Länge zu ziehen, händige ich meinen Gürtel aus und passiere die Sicherheitsschleuse.
Während ich versuche meinen Gürtel wieder einzuziehen, sorgt die Durchleuchtung meines Handgepäcks bei den Umstehenden für Gelächter. Meinem Hinweis, dass es sich bei der auf dem Schirm erscheinenden Flasche nicht um Schnaps, sondern um meine Mundspüllösung handelt, will keiner so recht Glauben schenken - Ist aber wirklich so!


07:45 Uhr
Nach einem weiteren beschwerlichen Fußmarsch sind wir endlich am „Gate“, oder wie das Ding heißt, angekommen. Draußen kommt gerade der Flieger vorgefahren. Meine Hoffnung, mich jetzt endlich in die Kiste reinsetzen zu können, wird bitter enttäuscht. Wieder heißt es warten, warten, warten. Derweil überbrückt ein nervöser, jedoch flugerfahrener Stammtischbruder die Zeit damit, zu rauchen und sich verrückt zu machen. Ich denk' mir noch: Wenn das bei ihm jedes Mal so ist, dann geb' ich ihm nicht mehr lange!
Andere Stammtischbrüder faszinieren sich an dem draußen stehenden Fluggerät. Pah! - Was für Kindereien! Die Kiste wird einzig und allein durch den Magnus-Effekt in der Luft gehalten. Jedes dahergelaufene Arschloch mit 'ner Vier in Physik könnte so ein fliegendes Ding bauen! - Sogar ich! - Na ja, zumindest theoretisch.


08:00 Uhr
Wer hätte es für möglich gehalten? Den Fluggästen, die schließlich ein Schweinegeld für diesen Flug bezahlt haben, wird endlich Einlass gewährt. Um Chaos zu vermeiden, geht der Steward nach einem ausgeklügelten System vor. Das Chaos tritt trotzdem ein. Welche Leute denken sich so ein System aus? Gescheiterte Sozialpädagogen etwa? Immer wieder, wenn vereinzelte Personen, die noch gar nicht an der Reihe sind, versuchen, ins Flugzeug zu kommen, vernimmt man in der Menge ein leises Grummeln, das doch sehr nach „Hängt sie höher!!!“ klingt.


08:15 Uhr
Es ist vollbracht! Ich sitze im Flugzeug. Gebt mir noch zehn Minuten und ich hab' auch meine Beine irgendwo unter.


08:30 Uhr
Wie stand es noch auf dem Ticket? Abflug 08:30 Uhr? Weit und breit ist keine Startbahn in Sicht! Bei der Bahn würde spätestens jetzt alles anfangen zu meckern. Hier nicht! Beim gewöhnlichen Volk gelten die Ritter der Lüfte anscheinend als unantastbar.


08:45 Uhr
Ja, wir sind endlich oben. Und ja, mein nicht vorhandener Mageninhalt ist noch drin. Nicht ohne einen gewissen Stolz melde ich meinen Mitreisenden den erfreulichen Verlauf des Starts. Auch mein Sitznachbar scheint mein gutes Befinden erleichtert zur Kenntnis zu nehmen.


09:00 Uhr
Auf den Bildschirmen wechselt sich Flackern mit einem saulangweiligen Condor-Werbespot ab. 20 Leute Crew und alle zu blöde, um den Bord-Videorecorder zu bedienen.
Wer hat eigentlich das Gerücht gestreut, dass Flugbegleiterinnen jung und gutaussehend sind? Trifft das etwa in 99,9% aller Fälle zu und nur ich habe mal wieder in die Scheiße gegriffen? Jedenfalls braucht man keinen weiteren Einblick in die Personalakten von Condor zu haben, um festzustellen, dass diese Firma offensichtlich ein Rentnerproblem hat.


09:45 Uhr
Es ist angerichtet. Vor mir steht das Bord-Essen. In diesem Fall habe ich eigentlich keine Verbesserungsvorschläge anzubringen. Es stört mich lediglich, um den Ellbogen meines linken Sitznachbarn herumschneiden zu müssen.


10:30 Uhr
Durch einen Ruck werde ich aus dem Schlaf gerissen. Ein Blick aus dem Fenster verrät, dass wir gerade in Palma gelandet sind.


10:40 Uhr
Bei der Busfahrt zur Flughafenhalle antworte ich auf die Fragen meiner Stammtischbrüder, wie ich den Flug denn gefunden hätte, dass es ganz okay gewesen wäre. Ich füge aber sofort an, dass ich mir ebenso Schöneres vorstellen könne, als in solch einer stickigen Röhre zu sitzen, und mein Leben zwei übermüdeten, potentiellen Alkoholikern (weil irgendwie ist doch jeder potentieller Alkoholiker - oder?) anzuvertrauen, um deren Gemütszustand ich nicht weiß.


11:15 Uhr
Endlich sind auch die Koffer da. Aus der Not haben wir eine Tugend gemacht und beschlossen, dass der erste und der letzte, der jeweils seinen Koffer erhält, eine Runde ausgeben muss. Erwischt hat es Wudo (erster) und Boni (letzter). Boni hat offensichtlich Pech gehabt, aber angesichts der Tatsache, dass man die Koffer auch mehrere Runden drehen lassen kann, schwanke ich bei Wudo so gefühlsmäßig zwischen „Hut ab!“ und „Selber schuld!“


11:45 Uhr
Wir haben unseren Bus ausfindig gemacht. Hinter dem Steuer sitzt ein dickbäuchiger, goldkettchenbehängter und schlechtgelaunter Mann – ein Busfahrer eben. Endlich wieder normale Leute!


Sonntag, 08. Juni 1997, 01:00 Uhr
Ich befinde mich beim Bierkönig und mache mir keinerlei Gedanken um den Scheiß' Rückflug!


Sonntag, 08. Juni 1997, 08:45 Uhr
Es ist so weit. Der Bus zum Flughafen holt uns ab. Ich bin nach einer Woche Erholung völlig entspannt und amüsiere mich gelassen über einen Stammtischbruder, der wegen offensichtlicher Entsorgungsprobleme den Bus gelegentlich verlassen muss.


11:20 Uhr
Eigentlich sollten wir schon wieder im Flugzeug sitzen. Die Fluggesellschaft entschuldigt das nicht vorhandene Flugzeug mit einem Elektronikschaden. Eine glatte Lüge, wie sich später herausstellen sollte, in Wirklichkeit handelte es sich nämlich um einen Hydraulikschaden.
Notgedrungen lassen wir unsere letzten Peseten einem bedürftigen Bierverkäufer zukommen. Eine Gruppe Mainflinger Kicker, mit denen unser Stammtischbruder Dietmar beruflichen Umgang pflegt, gefällt sich zwischenzeitlich in der Rolle des Pausenfüllers und stimmt pausenlos: „Steht auf, wenn ihr fi... wollt!“ an. Zwar erhebt sich daraufhin ein älteres Ehepaar, aber nicht um zu fi..., sondern um, unter dem Murmeln von „Was sind denn das für Charaktere?“, kopfschüttelnd diesen Ort des derben Humors zu verlassen.


12:10 Uhr
Man gestattet uns, das Flugzeug zu betreten. Beim Hinaufgehen der Treppe ist nicht zu übersehen, dass vier ratlose Personen in das geöffnete rechte Triebwerk starren. Im Flugzeug selbst begrüßt uns der Co-Pilot auch im Namen des Piloten ,,Sargnagel" und klärt uns über die Harmlosigkeit des eingetretenen Defektes auf. Zwischendurch versucht uns auch der eigentliche Pilot etwas zu sagen. Nachdem er aber immer wieder, aufgrund offensichtlicher Herzprobleme, nach zwei Worten eine längere Atempause machen muss, entzieht ihm schließlich der Co-Pilot das Wort und erzählt noch lang und breit, in welchem Baumarkt er das Ersatzteil für die defekte Hydraulik zu kaufen gedenkt.
Hinter mir sitzt singend die Reisegesellschaft aus Mainflingen.


12:40 Uhr
Ein dreifach Hoch auf die spanischen Baumärkte! Wir sind startklar. Während der Pilot im Cockpit einen Herzkatheder gelegt bekommt, verkündet der Co-Pilot, dass jetzt alles in Ordnung sei und wir sowieso nur mit einem hundert Prozent sicheren Flugzeug gestartet wären.
- Jaja und die Erde ist eine Scheibe. Ein jedes Kind weiß um den Konkurrenzdruck der Fluggesellschaften untereinander und somit war klar, dass die Maschine auch abgehoben hätte, wenn der Pilot nur eine minimale Chance gesehen hätte, den Vogel irgendwie übers Wasser zu kriegen.
Hinter uns singt die Reisegesellschaft aus Mainflingen - immer noch vergnügt.


12:45 Uhr
Wir befinden uns gerade mitten in der Startphase. Michi und ich machen gerade makabre Späße über den Zustand des Flugzeugs und das traurige Schicksal, das uns bald alle ereilen wird, da meldet sich hinter uns eine Frau zu Wort, aber nicht um sich, wie wir zunächst dachten, an unseren apokalyptischen Assoziationen zu beteiligen, sondern uns mit keifender Stimme aufzufordern, sofort ruhig zu sein.
Hinter mir singt immer noch die Reisegesellschaft aus Mainflingen.


13:10 Uhr
Hinter mir riecht es eindeutig nach Erbrochenem. Der Gesang der Reisegesellschaft aus Mainflingen ist verstummt.


14:30 Uhr
Wir sind gelandet, die Koffer sind alle da - eigentlich ist nichts Außergewöhnliches passiert. - Und das mir!

Naja - vielleicht beim nächsten Flug.


 

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