Reise

Memories from Heidelböhrk ...


Wer kennt ihn nicht - diesen anglizistischen Gassenhauer, der das beschauliche Städtchen am Neckar besingt? Wahrscheinlich ziemlich viele - aber egal! Es soll hier ja nicht um musikalische Fortbildung gehen, sondern vielmehr um eine jährlich wiederkehrende Stammtisch-Unternehmung - wobei Wiederkehr in diesem Zusammenhang erst mal nichts mit dem Vorgang des Kehrens, also der regelmäßigen Straßenreinigung, zu tun hat, sondern mit dem Event des kollektiven Stammtischmehrtagesausfluges.
Unter Rücksichtnahme auf die staatlich angestellten Pädagogen in unseren Reihen, die für die wenigen Tage mehr Freizeit gegenüber der normal arbeitenden Bevölkerung den unermesslich hohen Preis der unflexiblen Urlaubsplanung berappen müssen, wählten wir das Ziel so, dass es ihnen möglich war, nach der gewissenhaften Wahrnehmung ihres Amtes, dem Rest nachzureisen und rechtzeitig da zu sein, sodass sie vom geselligen Teil nicht allzu viel verpassen sollten.
Der Rest stieg am 23. September um die Mittagszeit einfach in den Zug. Im Gegensatz zu vergangenen Städtefahrten standen wir diesmal vor dem Problem, dass die Einstimmung auf die Fahrt durch geselliges Verweilen im Bordbistro nicht in der entsprechenden Dauer wahrgenommen werden konnte und sich somit keine philosophischen Diskussionen anbahnen konnten. Da die Bahn sich immer noch nicht dazu durchringen konnte, auch in Regionalzügen Bistrowagen einzusetzen, blieb das gesellige Beisammensein auf die zwei Runden Bier im EC von Darmstadt nach Heidelberg begrenzt.
War vielleicht auch besser so, denn nach der Ankunft in Heidelberg schloss sich erst mal ein Fußmarsch vom Bahnhof zum Hotel an, der aufgrund der Länge und der Lage (ging an einer Hauptverkehrsstraße entlang) den Beteiligten die volle Aufmerksamkeit und Kondition abforderte. Im Hotel "Bordinghouse" angekommen entledigten wir uns unseres Gepäcks und schwärmten sogleich in die Heidelberger Altstadt aus.


Flaschenbier im EuroCity...


...und eine reichhaltige Auswahl an Gerstengetränken in Heidelberg

Entsprechend der gewohnt präzisen Vorbereitung unseres Scouts steuerten wir ohne Umschweife das "Güldene Schaf" an. Dort wurde ein sehr süffiges Eigengebräu gereicht, sodass wir immer wieder nachorderten und völlig vergaßen, dass es evtl. in Heidelberg noch weitere Kneipen mit wohlschmeckenden Getränken geben könnte. Irgendwann rissen wir uns dann doch los und zogen weiter - jedoch nicht ohne im "Schoof" eine Reservierung für das Abendessen zu tätigen.
In den Gassen der Altstadt herrschte reges Gewusel, weil man an allen Ecken dabei war, Bühnen und Stände für den "Heidelberger Herbst", der an diesem Wochenende stattfinden sollte, zu errichten. Alsbald stießen dann auch unsere nachgezügelten Lehrer dazu. Auf die Frage, warum man denn von Schulschluss bis Heidelberg annähernd eine halben Tag Fahrzeit benötigt, berichteten sie von einer Reifenpanne und der anschließenden, nicht enden wollenden Odyssee zu diversen gewerblichen Reifenflickern der Region.
Jetzt galt es erst mal den Hunger zu stillen und so machten wir uns wieder zurück ins "Schoof". Während die meisten deftige Hausmannskost wählten, begnügte sich einer der Nachzügler mit einem Salat - wahrscheinlich wollte er bis zum nächsten Tag an Gewicht verlieren, damit die Luft aus dem Reifen nicht so schnell entweicht, falls der Reifenflicker nicht sauber oder ggf. gar nicht gearbeitet hat.
Die beiden Lehrer waren aber nicht die einzigen Nachzügler an diesem Tag. Aus der Kategorie „Jet-Set“ traf noch unser Sonderbeauftragter für "Ich komm später nach, fahr dafür aber früher weg" ein. Ausgehungert durch die anstrengende Parkhaussuche orderte er sich eine Rindswurst. Das rief auch unseren Salatesser noch mal auf den (Speise-)Plan, der meinte, dass er noch so einen versteckten Hunger hätte und ein Nachtisch ja durchaus noch drin wäre. Nach längerem Studium der möglichen Nachtische entschied er sich für die "Schweinshaxe mit allem".
Mit gefülltem Magen (bitte merken - das sollte im Laufe des Abends noch eine Rolle spielen), zogen wir weiter, um anhand der "wirtschaftlichen Lage" (wow! - was für ein hintersinniges Wortspiel!) zu prüfen, ob Heidelberg seinen Ruf als Studentenstadt zu Recht genießt.
Aus irgendwelchen Gründen zog es uns in die Kneipe "Betreutes Trinken", um dort die angebotenen Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen. Wohl aufgrund der anstrengenden Fahrt und des strammen Rahmenprogramms nickte einer unserer Mitstreiter mit dem Kopf auf dem Tisch ein. Die vorbeikommende Bedienung meinte dazu, das sei hier das "betreute Trinken" und kein "betreutes Wohnen" und forderte uns auf, unseren Mitstreiter zu wecken. Geschockt ob solcher Kaltherzigkeit gegenüber offensichtlich hilfsbedürftigen Personen entschlossen wir uns, das Lokal zu verlassen und an diesem Abend nicht mehr zu betreten. Da in Heidelberg eine Kneipe der anderen gleicht, markierte sie unser zwischenzeitlich wieder wacher Mitstreiter mit seinem Mageninhalt im Eingangsbereich (hatte ich eigentlich erwähnt, dass wir zuvor reichlich gegessen hatten?).




Es folgte ein Zug durch diverse Kneipen, der dann in einem Irish Pub endete, wo wir uns daran erfreuten, zuzusehen, wie sich Menschen beim Karaoke der Lächerlichkeit preisgaben. Auf dem Rückweg wollten wir noch ein weiteres Pub besuchen, welches laut Google in unmittelbarer Nähe unseres Hotels sein musste. Unser - wohl nicht sehr planvolles - Suchen stimulierte die Hilfsbereitschaft einer Gruppe Studenten, die uns, nachdem wir unser Ansinnen formuliert hatten, zunächst belächelte, weil sie noch nie von einem Pub in dieser Straße gehört hätten. Eine Google-Anfrage belehrte sie aber eines Besseren und so schlossen sie sich unserer Suche an. Diese war allerdings nicht von Erfolg gekrönt, sodass wir uns darauf einigten, dass es hier wohl kein Pub gibt und Google keine Ahnung hat.
Am nächsten Tag beschlossen wir, den Kulturteil der Reise in Angriff zu nehmen - also auf zum Schloss! Sehr zum Missfallen unserer rauchenden Stammtischler entschieden sich die meisten Erbauer solcher Anlagen dafür, diese auf einem Berg zu errichten, was dann oft einen beschwerlichen Aufstieg mit sich bringt. Aufgrund dessen zerfiel die Reisegesellschaft in zwei Teile. Damit aber Raucher und Nichtraucher zusammen oben ankommen konnten, machten wir vor dem Gipfel noch eine Rast in einer Gaststätte. Dort suchten wir uns ein sonniges Plätzchen und orderten eine Runde Bier.
Einer von uns hatte in der Zwischenzeit Hunger bekommen (die Sättigungskapazität des Salates und der Nachtischhaxe vom Vorabend war derweil aufgezehrt) und so bestellte er sich eine Portion Spaghetti "Arrabiata". Nachdem die Bedienung die Bestellung aufgenommen hatte, schob er noch den unscheinbaren Satz "Ach ja - und stellen Sie bitte Salz und Pfeffer dazu!" nach. Schlagartig verstummten alle Gespräche am Tisch, das Vogelzwitschern verklang - eine Unheil verheißende Stille breitete sich im Biergarten aus. Was war da gerade geschehen? Hatte sich da eben jemand den Fauxpas erlaubt, der Küche zu unterstellen, dass sie grundsätzlich würzloses Rentner-Essen serviert? Nach einer Weile gespenstischer Ruhe unternahm die Bedienung den ersten Schritt zur Deeskalation: "Glauben Sie mir, das Essen ist schon recht pikant!". Wie würde der Provokateur denn nun auf diese Handreichung reagieren? "Egal, bringen Sie bitte trotzdem Salz und Pfeffer!". Nach diesem Ausspruch war allen Beteiligten (bis auf einen) klar, dass nach der wiederholten Kränkung der Küche, man dort wohl als Vergeltung in unser Essen spucken oder dieses mit anderen Körperflüssigkeiten anreichern würde - also hier bloß nichts mehr essen!
Alternativ ließen wir einfach nur noch eine Runde Bier kommen. Als dann die Spaghetti serviert wurden und dazu fordernd angemerkt wurde "Ja wo sind denn nun Pfeffer und Salz?!", war allen Kennern der Gastronomiebranche klar, dass diese fortgesetzten Provokation eine Solidarisierung der Belegschaft mit sich bringen würde und es nun auch nicht mehr angebracht war, offene Getränke zu bestellen. So blieb nur der geordnete Rückzug und der weitere Aufstieg zum Schloss. Ich denke, es hat jeder schon mal ein Schloss gesehen, deshalb erspare ich mir weitere Details und fahre mit der Beschreibung des Tagesverlaufes nach dem Abstieg fort.


Abendessen...


...und Nachtisch

Im Tal war der "Heidelberger Herbst" derweil in vollem Gange. Angelockt durch das schöne Wetter bevölkerten zahlreiche Menschen die Straßen und Gaststätten, sodass es schier unmöglich war, einen Platz für das Mittagessen von 10 Personen zu finden. Wenn das mit dem Mittagessen schon nicht klappte, wollten wir dann zumindest für's Abendessen reservieren. Aber auch dieses Ansinnen entlockte den Bedienungen nur ein müdes Lächeln - "Samstagabend hab ich erst wieder in 4 Wochen was frei!" war die Antwort die wir meist zu hören bekamen. Es folgten etliche Kilometer vergebliche Suche, bis wir dann glücklicherweise doch noch im "Schnookeloch" unsere Reservierung platzieren konnten.
Das Mittagessen selbst nahmen wir im Schutze der Anonymität an diversen Ständen des "Heidelberger Herbstes" ein, begleitet von der Musik zahlreicher Live-Bands. Zum "Beinevertreten" zog es uns an die Neckarbrücke, von wo aus man das Wasserkraftwerk im Neckar sehen konnte, welches wir uns dann auch aus der Nähe betrachteten.
Da wir uns nun eh schon auf der anderen Flussseite befanden, entschlossen wir uns, in Anbetracht des sonnigen Wetters, den Philosophenweg entlang zu schlendern. Dieser führt durch die Natur vorbei an hochpreisigen Liegenschaften betuchter Einwohner und der Universität Heidelberg. Mit "wir" meinte ich übrigens "wir“ abzüglich der Motorradfahrer (die ja dem Reifenflicker einen Besuch abstatten mussten) und der Raucher, die befürchteten, dass sich hinter dem "Philosophenweg" eine heimliche Bergtour verbergen würde. Trotz seiner Hanglage hielt sich die körperliche Anstrengung beim Beschreiten des Philosophenwegs in Grenzen.
Als großes Problem entpuppte sich vielmehr die geringfügige Ausstattung mit Toiletten. Diese beliefen sich in Summe nämlich auf die stolze Anzahl 0 (in Worten Null). Für jeden, der ein Problem damit hat, inmitten von Leuten einfach auf die Straße zu urinieren, gerät somit die Entleerung der Blase zu einer schier unlösbaren Herausforderung. Da wäre zum einen das Thema, dass der Weg sehr stark frequentiert ist. Dazu ist der Hang recht steil, sodass man sich nicht in die Büsche schlagen kann. Verrichtet man seine Notdurft zum Abhang hin, kann einem die ganze andere Neckarseite zusehen und mit dem Handy filmen. Diese Umstände wären einem Stammtischler fast zum Verhängnis geworden. Schmerzerfüllt schleppte er sich den Weg entlang, nie die Hoffnung aufgebend, dass vielleicht doch noch eine Toilette oder ein lauschiges Plätzchen aus dem Nichts auftauchen könnte.
Die Rettung kam in Form eines Kiosks. Während einer den Betreiber mit einer Großbestellung Bier ablenkte, entledigten sich die anderen in unmittelbarer Nähe seines Verkaufsstandes ihrer überschüssigen Flüssigkeit. Wieder am Neckar angekommen, taten wir es den Studenten und Studentinnen gleich und legten uns ins Gras der Neckarwiesen, um ein bisschen zu chillen und ab und an den Pfandsammlern eine Flasche Leergut zuzustecken.
Im "Schnookeloch" vereinten wir uns wieder mit unseren Rauchern. Am Tisch gegenüber hatte ein Paar Platz genommen, das unüberhörbar auf Englisch kommunizierte. Obwohl die beiden deutlich nach uns ihre Bestellung aufgegeben hatten, bekamen sie ihr Essen vor uns. Allein dies war schon ein Skandal. Als sie dann auch noch Witzchen darüber machten, wurde ihnen unsererseits ein entschlossenes "Brexit means Brexit" entgegen geschleudert. Diese Anspielung auf das bedeutende volkswirtschaftliche Experiment, dem sich das einstige Empire dankenswerter Weise unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat, ließ die beiden überrascht verstummen. Schließlich stellte sich heraus, dass es sich zwar auch um Insulaner handelte, aber um keine Engländer sondern Iren.
Derweil waren wir im Zeitplan schon mächtig in Verzug, wollten wir doch noch auf dem "Heidelberger Herbst" einem kostenlosen Live-Konzert beiwohnen. Es hatte sich dort eine weit bekannte Coverband angesagt. Leider hatte sie ihren Namen so gewählt, dass nicht alle aus diesem auf die Art der zu erwartenden Musik schließen konnten. Ich denke an dieser Stelle ist es an der Zeit, eine kleine Aufgabe einzuschieben.
Ergänze folgende Reihe:

"Master Of Puppets" - Metallica

"Two Minutes To Midnight" - Iron Maiden

"Smoke On The Water" - Deep Purple

"Dirty Deeds" - A?/??

Warum musste sich die Band auch nach dem völlig unbekannten "Dirty Deeds" benennen? Warum wählte sie nicht den Namen "Thunderstruck", der eindeutig auf die Stilrichtung hätte schließen lassen können? Jedenfalls gab es an diesem Abend enttäuschte Zuschauer, die bis zum Ende weilten und die Frage stellten, warum sich das alles so nach AC/DC anhörte und nichts von Metallica gespielt wurde.
Nachdem die Band aufgehört hatte, ging es nochmal auf einen Absacker ins Pub "Dubliner". Dort orderten wir eine Runde "Cuba Libre". Bei den meisten war die Geschmackswahrnehmung eh schon stark beeinträchtigt, einer aber schmeckte heraus, dass es sich dabei um eine nicht handelsübliche Zusammenstellung handelte. Intensive Diskussionen mit der Bedienung ergaben, dass man hier den "Cuba" mit Bacardi zu mischen pflegt. Gut - sehen wir das mal als regionale Eigenheit. Im Osten kriegt man ja auch panierte Jagdwurst serviert, wenn man sich ein Jägerschnitzel bestellt. Zumindest bestraften wir diese Mogelpackung mit dem Verlassen des Lokals (was auch besser so war - wir hatten ja einen anstrengenden und ereignisreichen Tag hinter uns).

Am Sonntag war erst mal Sport angesagt. Vereint gingen wir zum Neckarufer und schauten uns, mit einem Bier in der Hand, den gerade stattfindenden Ruderwettbewerb an. Soviel Bewegung an der frischen Luft macht natürlich Hunger und wir beschlossen, vor der Rückfahrt nochmal in einer Gaststätte einzukehren.
Den Namen der Gaststätte habe ich vergessen, ich weiß nur noch, dass es keinen Krustenbraten mehr gab und die Bedienungen alle einen osteuropäischen Akzent hatten. Wobei man sagen muss, dass das auf nahezu 99% der Heidelberger Kneipen zutraf (nicht das mit dem Krustenbraten, sondern das mit dem Akzent). Danach holten wir unser Gepäck und machten uns auf Richtung Heimat.
Alles in allem war es ein gelungener Ausflug. Heidelberg ist eine wunderschöne Stadt (vor allen Dingen im "Heidelberger Herbst") und es gibt da gar nicht so viele Japaner und Amis, wie in den Klischees immer behauptet wird - eher Osteuropäer, die alle einheitlich gekleidet sind (schwarze Hose, weißes Hemd, ggf. Schürze um).


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