Reise

Gott mit Dir, Du Stadt der Biere!

"www.bierstadt.de" - so tituliert sich die Stadt Bamberg selbst, oder zumindest die Brauereien, die sich nun auch neuzeitlicher Medien bedienen, um ihren traditionellen Gerstensaft an den Mann zu bringen. Grund genug für uns, die Stadt, ihre Brauereien und falls es sonst noch irgendwas Interessantes dort geben sollte, mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen und ihr einen FBF-Mehrtagesausflug zu widmen.

Nun würde sich ja eigentlich ein Tag im Sommer besser dazu eignen, die Biergarten-Struktur einer Stadt zu erkunden. Aber wie es die Geschichte vor einem Jahrzehnt nun mal so wollte, hat man uns einen Feiertag im Juni genommen, um uns mit einem anderen im herbstlichen Oktober zu beschenken.

Was soll’s! Am Samstag, dem 30. September 2000 - die Hühner schliefen noch - trafen sich 11 verwegene Stammtischler, bewaffnet mit einem "Schönes-Wochenende-Ticket" und ein paar Dosen Dosenbier, im Altheimer Bahnhofsviertel, um ins Land der Franken zu reisen.

Der Einstieg in den Zug war schon die erste Strapaze, die wir zu bewerkstelligen hatten. Unglaublich! Hatten wir doch wieder mal nicht als einzige die Idee, das verlängerte Wochenende zu nutzen, so dass der Zug bereits brechend voll war und wir mit Müh' und Not ein paar Stehplätze im Raucherabteil ergattern konnten. Während nun die einen versuchten, mit minderjährigen Schülerinnen ins Gespräch zu kommen, indem sie ihnen Bier über die Jacke schütteten, stimmten die anderen zusammen mit einer bierseligen jungen Rei­segruppe, der ohne weiteres anzusehen war, dass sie schon etwas länger auf Achse war, ein paar Lieder an.

Von Bahnhof zu Bahnhof füllte sich der Zug mehr und mehr. In Gemünden war dann das Boot buchstäblich voll. Es ging nichts mehr vorwärts und nichts mehr rückwärts. Während auf dem Bahnsteig ca. 100 Personen noch auf Einlass harrten, konnte man sich im Inneren des Zuges kaum noch rühren. Wohl dem Biertrinker, der mit einer Blase großer Kapazität ausgestattet ist! "Verehrte Fahrgäste, bitte rücken Sie in den Gängen noch etwas weiter auf - sofern das möglich ist!" - das war die verzweifelte Durchsage des Zugführers, der sich - aus welchen Gründen auch immer - in seinem Dienst­abteil verbarrikadiert hatte. Es war aber nichts mehr möglich und so mussten etwa 100 ambitionierte Oktoberfest-Besucher mit langen Gesichtern am Bahnsteig stehen bleiben, um auch bei den folgenden überfüllten Zügen in die Röhre zu schauen.

Die ganze Situation entspannte sich erst im Bahnhof Würzburg, wo die ganzen Oktoberfest-Reisenden in einen anderen überfüllten Zug umsteigen mussten. Über den unerwarteten Raumgewinn in höchstem Maße erfreut, nahmen wir die nun frei-gewordenen Sitzplätze ein, öffneten die Fenster und verzehrten unser traditionelles Frühstück - Fleischwurst mit Brötchen und Senf. Auch der Zugführer und seine Assistentin trauten sich derweil aus ihrer Deckung und gingen ihrer Arbeit nach, als sei nichts gewesen.

Ausgeruht und entsprechend gestärkt traten wir nach unserer Ankunft gegen 11.00 Uhr den Fußmarsch vom Bahnhof durch die Bamberger Innenstadt zu unserem Hotel an. Dort erfuhren wir dann, dass man uns nicht im Hotel, sondern im Gästehaus einquartieren wollte - also wieder auf Wanderschaft! Dank der guten Vorbereitung mussten wir nicht erst vor Ort ausknobeln, wer mit wem welches Zimmer bezieht, sondern konnten gleich das Kulturprogramm in Angriff nehmen und steuerten unter dem Thema "Biergartentag" die Brauerei "Greifenklau" an. Sichtlich geschlaucht von diesem ersten Themenschwerpunkt stand uns dann der Sinn nach Entspan­nung. Diese fanden wir dann auch im Biergarten unseres Hotels "Alt-Ringlein" bei Kuchen und Bier. Aber wer rastet, der rostet und wenn wir alle neun Brauereien plus Brauereimuseum innerhalb unseres dreitägigen Bambergaufenthaltes besichtigen wollten, so mussten wir uns ranhalten. Also ging es dann abends gleich in die Brauerei "Schlenkerla", wo das berühmt-berüchtigte Rauchbier gebraut wird. Nun - ich würde sagen, dass dieses Bier aus unserer Sicht mehr im Bereich „berüchtigt“ anzusiedeln ist! Jedenfalls ist mir kein Stammtischler bekannt, der sein Bier die Kehle hinunterstürzte und sofort nach einem neuen verlangte. Da fiel doch eher auf, dass manche nach einem kurzen Nippen mit verzogenen Mundwinkeln ihr Bier beiseite stellten und versuchten, in einem Moment der Unachtsamkeit den Inhalt ihres Glases dem Sitznachbarn unterzujubeln. Manch’ ausgefuchster Stammtischbruder versuchte gar, sich schlafend zu stellen, um sein Rauchbier nicht trinken zu müssen. Die hier dargebotene schauspielerische Leistung wirkte doch sehr authentisch (Schlafen mit dem Kopf auf der Tischplatte, spontanes Aufspringen vom Platz mit anschließender Verunreinigung der sanitären Anlagen). Das Ganze wurde von der Bedienung sehr locker aufgenommen - na ja, den Vorfall auf der Toilette hatte sie ja auch erst mal nicht mitgekriegt - so dass wir mit einem freundlichen "Beehren Sie uns bald wieder!" verabschiedet wurden. So kam es, dass wir bereits vor 22.00 Uhr an unseren Schlafstätten eintrafen und nach einem überaus anstrengenden und ereignisreichen Tag in einen tiefen Schlummer verfielen. O.k. - nicht unbedingt alle. Einige Stammtischbrüder hatten nämlich ihre Fenster zur Straße hin und dort hielten sich doch bis Mitternacht Personen auf, die nicht unbedingt auf ein paar erschöpfte Stammtischler Rücksicht nahmen. Wohl dem, der schon im Vorfeld genügend Schlummertrunk zu sich genommen hatte!

Beim Frühstück am folgenden Tag beklagten sich doch auffallend viele Stammtischler darüber, dass die Bestückung der Minibar mit nur zwei kläglichen Wasserflaschen je Doppelzimmer ein wenig knapp bemessen ist. Hier sollte sich das Hotelgewerbe mal Gedanken machen und mehr auf die Bedürfnisse der Kunden zugehen. Auf das Frühstück folgte die Besichtigung von "Klein-Venedig" - einem Stadtteil Bambergs, in dem Menschen wohnen, die ihre Wohnung häufiger neu einrichten als andere - zumindest nach jedem Hochwasser.

Wegen des schlechten Wetters sahen wir von einer Bootsfahrt ab und steuerten schnurstracks die Brauereigaststätte "Spezial-Rauchbier" an. Dort machten wir dann die Erfahrung, dass das Rauchbier nur halb so schlimm schmeckt, wenn man dazu Zigarillos raucht. Während des Mittagessens dort  trafen auch unsere Nachzügler Didi, Heiko, Boni, der Jüngere und Michi ein, die uns sogleich von ihrer pannenreichen Anreise berichteten.

Von unserem Reiseführer auf das weltberühmte Bamberger Holographiemuseum aufmerksam gemacht, unterbrachen wir den Weg zum Biermuseum auf dem Klosterberg und gaben uns den Eindrücken der Holographie hin. Danach ging’s schnurstracks weiter zum Biermuseum auf dem Klosterberg, in welchem wir eine Vielzahl interessanter Relikte aus der jahrhundertealten Biergeschichte bestaunen konnten. Doch grau ist jede Theorie und da es vor Ort nichts zu trinken gab, beschlossen wir, wieder in die Biertrinkerpraxis einzusteigen. Wir begaben uns zur Braue­rei „Klosterbräu“ – der ältesten Brauerei Bambergs. Dort befindet sich eine sehr gemütliche Kneipe mit Ofenbank und einem Wirt, der stets zu Scherzen aufgelegt ist. Alles in allem eigentlich beste Vorraussetzungen für einen geselligen Abend, wäre da nicht das Nobelhotel gegenüber, dessen Gästen anscheinend Menschen, die Freude am Leben haben, ein Dorn im Auge sind, denn als die Stimmung immer besser, die Gesänge immer lauter und die restlichen Gäste immer aufmerksamer auf uns wurden, da setzten Drohanrufe aus dem Hotel gegenüber den Wirt unter Druck und der Stimmung ein Ende. Eigentlich schade! Und das, wo sich gerade ein Gönner zu uns an den Tisch gesellt hatte und wir das Ehepaar, das sich als einziges über unsere Gesänge beschwert hatte, nett verabschiedet hatten. Beim Verlassen der Gaststätte hinterlies uns die Frau noch ein nicht ganz so freundliches "Hoffentlich kotzt Ihr alle!" - wahrhaftig ein Wesen mit seherischer Fähigkeit!

Verbannt vom Hort der Gemütlichkeit zogen wir durch den reichlich vorhandenen Regen weiter zu einem Irish-Pub, wo einige sich als Kontrastprogramm dem Probieren verschiedener Whiskysorten hingaben, andere sich an einem elektronischen Fußballquiz versuchten und Michi L., der noch eine Kleinigkeit essen wollte, den Kampf mit einem Ein-Meter-Sandwich (mindestens!) aufnahm. Als Michi dann endlich fertig war, gingen wir zurück zu unserem Nachtlager, nicht aber ohne in der Kneipe gegenüber einzukehren. In Ermangelung eines Fußballquiz gab man sich mit einem elektronischen Erotikquiz zufrieden. Die Whisky-Fetischisten stellten ihre Experimente sogleich ein, als sie an eine Sorte geraten waren, die sie um ihr Augenlicht fürchten ließ.

Am nächsten Morgen wurde der eine oder andere Stammtischler beim Frühstück vermisst. Nun gut, im Zuge des Handy-Zeitalters sollte das "Nachzügeln" auch in einer fremden Stadt kein Problem mehr darstellen. Glücklicherweise hatte Petrus an diesem Tag ein Einsehen und zitierte die Sonne an ihren Arbeitsplatz. Einige ganz verwegene Gesellen ließen es sich nicht nehmen, den berühmten Bamberger Turm (Name ist mir derweil entfallen) zu besteigen. Die mit etwas weniger Tatendrang begnügten sich mit einem Spaziergang in ebenem Gelände. Vereint trafen wir dann im Hof der Brauerei „Keesmann“ ein, wo wir dann permanent die Position unserer Tische und Bänke mit dem aktuellen Sonnenstand synchronisierten. Aufgrund der vielen außerplanmäßigen Zwischenbesichtigungen mussten wir feststellen, dass wir es wohl nicht schaffen würden, alle neun Brauereien zu testen. Deshalb beschlossen wir, unse­ren Platz an der Sonne aufzugeben und weiter zu ziehen, um bei nächster sich bietender Gelegenheit einen Einheimischen zu konsultieren, welche Brauerei wir denn notgedrungen auslassen sollten.

Beim Mittagessen im "Mahrs Bräu" fühlten wir uns ein bisschen wie unsere Landsleute in den neuen Bundesländern früher. "Gibt es nicht mehr!", "Ham' wir nicht mehr!", "Is’ aus!", "Erst morgen wieder!" - das waren so die Antworten auf unsere Bestellungsversuche. Gott sei Dank musste letztendlich aber doch keiner verhungern, so dass wir allesamt ohne Schwächeanfälle die Brauerei "Fäßla" erreichten.

Dort erregte ein kahlköpfiger junger Mann unsere Aufmerksamkeit, der immer von Tisch zu Tisch wechselte, um mit den Gästen ins Gespräch zu kommen. Interessanterweise verließen die Gäste daraufhin unter den fadenscheinigsten Gründen das Lokal, manchmal sogar ohne ihr Bier auszutrinken. Schließlich erreichte er irgendwann auch unseren Tisch. Er stellte sich uns als „Charly“ vor - die Lichtgestalt der Bamberger Kneipenszene. Es folgte ein längeres Gespräch, was aber weniger mit dem Inhalt an sich zu tun hatte, sondern mehr damit, dass Charly schon ziemlich angetrunken war und von Haus aus mit einem vehementen fränkischen Slang sprach.

Zwischenzeitlich waren auch unsere Langschläfer (es war so gegen 15 Uhr) nachgekommen. Ausgeruht und nervlich belastbar machten sie sich einen Spaß daraus, den selbsternannten Kneipenguru aus seinem ereignisreichen Leben erzählen zu lassen. So nannte er uns die Brauereien, die wir im Zuge unseres Termindrucks beruhigt auslassen konnten, legte uns aber ans Herz, unbedingt das „Kleber 14“ zu besuchen - die Szenekneipe schlechthin, wo er nebenbei noch Miteigentümer war. Nun, was sollten wir tun? Natürlich versprachen wir ihm, auf jeden Fall abends noch in der - wie er sagte - „Kneipe schlechthin“ vorbeizuschauen. Doch damit gab er sich nicht zufrieden, denn als wir gehen wollten, teilte er uns mit, dass er ja eigentlich Zeit hätte und er uns gerne, bis wir dann in seine Kneipe gingen, begleiten würde. Daraufhin meinten einige, dass sie unbedingt zurück ins Hotel müssten, um noch ein paar Stunden zu schlafen - welch' offensichtliche Ausrede, waren doch einige gerade erst aufge­standen!

Also teilten wir uns. Ein Teil ging zurück „ins Hotel“, während der andere mit Charly weiterzog und dessen Insidertipps lauschte. Man redete und trank, trank und redete. Fatalerweise regte Charly dazu an, die Bierrunden mit ein paar Schnapsrunden zu strecken - ein Beschluss, der dem einen oder anderen beim Abendessen noch zum Verhängnis werden sollte. So geschah es, dass in Charlys „Esskneipe Nummer 1“ (gleich unter dem „Kleber 14“) einem gewissen Herrn - nennen wir ihn einfach mal Andy - spontan ziemlich schlecht wurde, so dass er aufsprang, die Stammtischkasse und Geld für sein Essen hastig auf den Tisch legte und auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Nach dem Abendessen war es dann soweit! Charly führte uns ins „Kleber 14“. Der Tanzschuppen an sich war ja ganz schön eingerichtet, aber es mangelte an Gästen, wenn man mal von uns absah. So dauerte es nicht lange, dass sich die ersten Spalter von uns absonderten. Umso mehr richtete Charly sein Augenmerk auf den verbleibenden Rest, damit der ihm nicht auch noch abhanden kam. Nun mussten wir also einen Weg finden, um erstens unseren treusorgenden Fremdenführer nicht zu kränken und zweitens aus diesem Schuppen, in dem nichts los war, schnellstens weg zu kommen. Schließlich machten wir es kurz und schmerzlos. Wir warteten, bis Charly kurz zur Theke ging, um sich noch was zu trinken zu holen und stürzten aus dem „Kleber 14“. Was er wohl von uns gedacht haben mag? Auch egal!

Im „Calimero“ angekommen, trafen wir auf ganz andere Um­stände. Das Ding war brechend voll und die Temperatur lag bei so etwa 31 Grad im Schatten. Inspiriert durch die Käfig-Tänzerinnen (ohne Käfig) und enthemmt durch den Genuss zahlreicher Cocktails entschloss sich ein Stammtischmitglied, das diesbezüglich mehr so als Bewegungslegastheniker bekannt ist, eine flotte Sohle aufs Parkett - na ja - mehr eigentlich auf die Fensterbank zu legen. Selbst als die professionellen Tänzerinnen aufgrund ihrer Jugend mit der gespielten Musik nichts mehr anzufangen wussten, zappelte er konsequent weiter. Die Heimfahrt am nächsten Tag vor Augen und sich des zeitigen Aufstehens bewusst, gingen die meisten, nachdem die Musik im „Calimero“ ausgeklungen war, zurück ins Hotel. Nur ein paar ganz Verwegene konnten noch nicht einschlafen und versuchten, das „Bamberger Night-Life“ zu erkunden. Ausgestattet mit einer Eintrittskarte, die sie einem vorübergehenden Passanten abgeschwätzt hatten, verschafften sie sich Einlass ins „Downstairs“. Dort tischten sie dem Türsteher derart widersprüchliche Lügengeschichten auf, dass dieser sie aus Mitleid passieren ließ. Im Inneren des „Downstairs“ waren dann wirklich skurrile Gestalten anzutreffen, gegen die unser Charly wie ein Waisenknabe wirkte.

Am nächsten Morgen waren wir dann endlich alle mal komplett beim Frühstück versammelt. Manchen war dann doch der fehlende Schlaf anzusehen, aber es half nichts. Wir nahmen un­sere Koffer in die Hand und starteten zum Protestmarsch Richtung Bahnhof. Protestmarsch deshalb, weil einer aus unseren Reihen protestierte, dass der Rest kein Taxi in Anspruch nehmen wollte. Die Rückfahrt verlief ohne nennenswerte Ereignisse. Alle dösten friedlich vor sich hin oder kämpften mit dem sich aufgrund tagelanger, fettreicher Nahrung einstellenden Sodbrennen und dachten sich „Schee war's!“.

 

 

Und nun der Abschluss-Limerick:

 

Der Charly seinen Whisky leert,

will, dass man neuen ihm beschert.

Wir blicken in die Runde, 

Weg! Nutzt die Gunst der Stunde,

Bevor er zu uns wiederkehrt!

 
 

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