Reise

 

Dresden - Venedig des Ostens

Mal ehrlich: Wer hat sich beim Blick auf seine Lohnabrechnung noch nicht Gedanken über die Sinnhaftigkeit des Solidarzuschlages gemacht? Und wer hat sich dann nicht mächtig geärgert, wenn er in den Nachrichten mal wieder davon hören musste, wie sich skrupellose Betrüger mit fragwürdigen Projekten an den Geldern aus eben diesem Solidarzuschlag bereichert haben? Aber was tun, damit das Geld direkt bei den Menschen in der ehemaligen SBZ landet? Kann der Einzelne überhaupt etwas tun? Aber natürlich kann er! Indem er nämlich höchst persönlich dorthin fährt und sein Geld vor Ort und Stelle der dortigen Wirtschaft zukommen lässt.

Beseelt von diesem überaus edlen Gedanken beschlossen letztes Jahr die Faßbierfreunde, ihre nächste Mehrtagesfahrt in die sächsische Landeshauptstadt zu unternehmen. Das Ausflugsziel erschien geradezu ideal. Zum einen war uns mündlich überliefert worden, dass Dresden über eine attraktive Kneipenszene verfügt und zum anderen hat ja wohl jeder in den Hochwasser-Reportagen von 2002 im Fernsehen gesehen, dass dort allerhand altes Gerümpel in der Gegend herum steht, was besonders gut dafür geeignet ist, unserem Ausflug einen kulturellen Anstrich zu geben.

So wurde flugs unser Reisepapst Racer mit der Organisation des Ausflugs beauftragt. Andy P. durfte ihm bei der Herbergssuche assistieren, obgleich nicht wenige Stammtischler diesbezüglich Skepsis hegten, da bekanntlich bei der vorherigen Fahrt nach Freiburg die Meinungen darüber, was man so allgemein unter "citynah" versteht, zwischen ihm und dem Rest erheblich differierten.

Racer sammelte dann erst mal zeitig von jedem 200 Euro ein. Dieses Geld bescherte ihm dann wohl so hohe Zinsgewinne, dass er sich entschied, in Nachwuchs zu investieren. Doch zurück zum eigentlichen Thema. Die Unterbringung wählte "Stefan", wie ihn einzelne auch nennen, unter dem Motto "Leben wie Erich" im Plattenbau des Hotels "Zum Terrassenufer". So, die "citynahe" Unterbringung war gesichert, fehlt nur noch der Transport dorthin. Aber aus gut unterrichteten Kreisen war uns zugetragen worden, dass es dort in Dresden auch einen Bahnhof hat, der sogar von allen benutzt werden kann, wenn dort nicht gerade einer seinen Sprengstoffkoffer am Bahnsteig stehen lässt.

Jetzt galt es nur noch, eine geeignete Zugverbindung auszuwählen. Nicht zu früh, damit die Reisenden im Zug keine unattraktiven Ringe unter den Augen haben, aber auch nicht zu spät, um ausreichend natürliches Licht zur Verfügung zu haben, damit der Kulturteil möglichst noch am Anreisetag über die Bühne gehen konnte, um sich am Folgetag dann aufs Wesentliche beschränken zu können. Doch was mussten wir da im Servicecenter der Deutschen Bahn AG erfahren? "Reservierung Frankfurt-Dresden dritter Oktober für elf Personen? Keine Chance!". Wie dumm aber auch! Einmal mehr mussten wir wieder feststellen, dass es durchaus passieren kann, dass an bundeseinheitlichen Feiertagen noch mehr Leute auf die Idee kommen, die Bahn als Fortebewegungsmittel zu benutzen. An "Mariä Himmelfahrt" wäre uns das sicher nicht passiert. An dieser Stelle möchte ich doch noch die Anregung an die Politik geben, die Auslastung der Bahn durch zusätzliche bundesweite Feiertage zu erhöhen.

Na gut, dann nehmen wir halt eine der zahlreichen Alternativen, z.B. einen eigenen Bus - zu teuer! Flugzeug - auch ausgebucht! Na dann chartern wir halt einen Hubschrauber für schlappe 9.000 Euro - ach da passen nur neun Leute rein? Doof, dass wir zu elft sind! Also doch selbst mit dem Auto fahren? Knurr, welch verlockender Gedanke, den 3. Oktober im Stau auf einer bundesdeutschen Autobahn zu verbringen.

Na ja, jedenfalls war die Unruhe groß. Aber irgendwie ist es Racer dann doch noch gelungen, für uns elf ein Plätzchen im angeblich ausgebuchten ICE Frankfurt-Dresden zu reservieren, und das auch zu einer für uns alle akzeptablen Zeit. So trafen wir uns also bereits um 5:55 Uhr am Münsterer Hauptbahnhof. Bernd kam diese Uhrzeit besonders gelegen, brauchte er sich doch nicht mehr extra zu Bette zu begeben, sondern konnte direkt von Martins 30. Geburtstag in den Zug steigen und dort am FFFFFFFFFFK-Frühstück teilnehmen (Fleischwurst, Fleischwurst, ..., Käse (Claus)). Zu dieser derweil klassischen Eröffnung reichte Michael B. "Flensburger" aus der Flasche - ein Novum, mit dem wir der neuen politischen Lage - Dosenpfand - Rechnung trugen. Nach besagtem Frühstück verweilten die einen bei Bernd, der sich selbst in den Schlaf erzählte, die anderen entschieden sich dafür, ihre Biervorräte zu schonen, um sich im Bistro-Wagen in gepflegter Atmosphäre ein gepflegtes Pils zubereiten zu lassen. Besagter Bistro-Wagen war voll von lustigen Zeitgenossen, die leichenstarr und permanent an ihren Glimmstängeln saugten, als gelte es, die virenverseuchte Atemluft vor dem Eintritt in die Lungen durch eine Papierhülse mit glühendem Tabak zu filtern. Die meisten von uns hielten diese Dauerberäucherung über die zeitliche Distanz von in etwa zwei Pils aus, bevor sich dann doch leichte Schwindelgefühle einstellten und wir wieder zurück auf unsere angestammten Plätze schwankten.

Am Dresdner Hauptbahnhof angekommen, traten wir erst mal einen längeren Fußmarsch zum Hotel an, der vom Quietschen der Rollen an den Faggot-Bags und dem Gejammere der Fußlahmen, die nach einem Taxi verlangten, begleitet wurde. Vom Hunger getrieben, das FFFFFFFFFFK-Frühstück lag ja nun schon Stunden zurück, führten wir den Check-In beschleunigt durch und begaben uns in der Altstadt sofort auf Nahrungssuche, was bei einer Anzahl von elf Personen durchaus eine Schwierigkeit darstellen kann, wenn diese dann auch noch den Anspruch haben, alle gemeinsam an einem Tisch zu sitzen. Fündig wurden wir dann im Dampfschiff, wo gerade - ach, wie innovativ - bayrische Wochen waren. Mit Haxen und Spanferkel gestärkt ging es dann direkt zum kulturellen Teil. Die Anregung eines Fahrtteilnehmers, die goldenen Dächer auf den Prunkbauten auf dem Weltmarkt zu verhökern und damit den Wiederaufbau der Frauenkirche zu bezahlen, fand ein geteiltes Echo. Erstaunlich ist auch das Vertrauen, dass die Dresdner in die Anti-Hochwasser-Maßnahmen haben. Dieses ist so groß, dass man die Leitungen, mit denen man die Suppe 2002 abgepumpt hat, gleich stehen ließ.

Apropos Abpumpen: Im Anschluss an den Kulturbummel war erst mal wieder Braukultur angesagt. Diesmal im "Schießhaus", das etwas ab vom Schuss liegt, dafür aber moderate Getränkepreise und eine umfangreiche Spirituosenkarte hat. Was liegt näher, als sich in solch einem Lokal bei erhöhtem Alkoholpegel und entsprechend gelockerter Zunge der Weltverbesserung und der Vereinspolitik zu widmen? Des Debattierens und gegenseitigen Beschimpfens überdrüssig, verließen wir dann irgendwann das "Schießhaus", überquerten die Elbe und steuerten die "Prager Bierstube" an. Dies ist ein recht beträchtlicher Kneipenkomplex, der Platz für viele, viele Gäste bietet - aber nicht für eine elfköpfige Herrengruppe, so wie quasi alle anderen Kneipen in der Neustadt auch, in denen man nicht reserviert hat. Was tun? Da standen wir nun auf der Straße! Glücklicherweise fand auf dieser Straße ein Straßenfest statt, wo auch Nahrungsmittel feil geboten wurden. Und so bissen sich die einen auf ihren Medium-Schweinesteaks vom Grill die Zähne aus, während sich die anderen an den scharfen Thai-Nudeln den Rachen verbrannten. Musikalisch begleitet wurde das Ganze von der Live-Band "Schwarzkittel Five" (SKF). Des Pilstrinkens überdrüssig, kehrten wir dann noch der Abwechslung halber im "Red Rooster" ein, wo dann schaumarmes dunkles Bier und Whisky gereicht wurde. Nach und nach wurden dann alle von der Müdigkeit heimgesucht, so dass schließlich die letzten gegen Mitternacht den Nachhauseweg in unseren Plattenbau antraten.

Am nächsten Morgen war erst mal ein reichhaltiges Frühstücksbüfett angesagt, an dem sich auch alle einfanden. Danach hieß es ab ins Bad und fertig machen für den Tag. Übrigens, wer behauptet, Frauen würden sich morgens zu lange im Bad aufhalten, der hat sicherlich noch nicht das Zimmer mit einem nikotinsüchtigen Kaffee-und-Melonen-zum-Frühstück-satt-Fan geteilt.

Das von der Reiseleitung engmaschig und sorgfältig ausgearbeitete Tagesprogramm ließ eigentlich kaum Freiräume. Bedingt durch den Regen wurde aber der Ausflug zum Schloss Pillnitz kurzerhand abgesagt und den Reiseteilnehmern in paar Stunden zur freien Verfügung zugestanden. So bummelten die einen durch die Geschäfte und die anderen schauten sich die "Prager Bierstube" an, wo man am Vorabend noch abgewiesen worden war. Um die Mittagszeit fanden sich dann alle plangemäß im "Radeberger Brauereiausschank" ein. Dort war an den Wänden (wie in zahlreichen anderen Kneipen am Elbufer auch) dokumentiert, was sich die Gastwirte im heißen Spätsommer 2002 so alles an Attraktionen für ihre Gäste haben einfallen lassen und warum man für diese Zeit mit Recht von Dresden als "Venedig des Ostens" spricht.

So verflog die Zeit und volle Gläser kamen und leere Gläser gingen. Als man sich zum Aufbruch entschloss und die Rechnung kam, stellte sich heraus, dass an unserem Tisch 97 kleine Pils ihr Leben gelassen hatten. Jeder hätte nun erwartet, dass die Bedienung solch konsumfreudiges Verhalten von sich aus mit einer Schnapsrunde aufs Haus honoriert. Nicht aber im "Radeberger Brauereiausschank"! Also begannen wir mit dezenten Hinweisen und Rechenexempeln. - keine Reaktion (zumindest keine gewünschte). So mussten wir eben mit unserer ostdeutschen Schwester die Sprache sprechen, die sie am besten versteht - die Sprache des Trinkgeldes. Soll heißen, es wurde kurzerhand gestrichen und die Rechnung von 203,70 Euro auf den Cent genau beglichen.

Durch die schlechten Erfahrungen am Vorabend schlauer, hatten wir diesmal für das Abendessen in der "Planwirtschaft" für elf Personen reserviert. Leider sahen sich einige nach dem kleinen nachmittäglichen Umtrunk nicht mehr im Stande, ohne ein kleines Vorabendschläfchen am weiteren Abendprogramm teilzunehmen. So teilte sich die Meute und die härtesten (und hungrigsten) zogen weiter in die Neustadt. Später gesellten sich in der "Planwirtschaft" dann auch die Schläfer dazu und Bernd lässt es sich nicht nehmen, sich die heimische Braukunst erläutern und typische Vertreter derselben servieren zu lassen.

Nach dem Aufbruch aus der "Planwirtschaft" wieder die alte Leier: "Was? Elf Leute? Nöö, das geht nicht!", bekamen wir mal wieder zu hören. Diesmal im Downtown, wo wir bei einer Ü30-Party Einlass begehrten. Kurzerhand löste sich unser Verband in kleinere Gruppen auf. Der größte Teil kehrte noch auf dem Nachhauseweg beim Spanier ein, während Andy, Bernd und Rainer in der Neustadt verblieben. Dort kehrten sie in einem Hardrockschuppen ein, in dem sich Bernd auf eine speckig glänzende Couch setzte und einschlief. Bei dem Gegrunze aus den Lautsprechern und in dem spärlichen Licht gewannen die beiden anderen den Eindruck, als würde die Couch den kleinen Bernd auffressen und so weckten sie ihn auf und zogen weiter. Und siehe da! Als Dreiergruppe waren sie auf einmal auch im Downtown willkommen, wo sie dann auch kurz verweilten, um dann noch mal in einem Schuppen einzukehren, von dem keiner mehr weiß, welchen Namen er hatte. Irgendwann nach fünf Uhr war es dann an der Zeit, sich in Richtung Hotel aufzumachen. Es wird vermutet, dass der Rückweg für einige beschwerlich und lang war und irgendwie sollen auch Fotos gemacht worden sein. Außerdem soll es wohl auch noch einen Stopp auf der Elbbrücke gegeben haben, aber so genau wird man das wohl nie erfahren. Letztendlich zählt doch nur, dass alle einigermaßen wohlbehalten wieder in ihrem Hotel angekommen waren.

Am nächsten Morgen waren alle wieder beim Frühstück anzutreffen - bis auf Rainer, der nach dem hastigen Genuss einer Flasche Tonic-Water, die er fälschlicherweise für Mineralwasser gehalten hatte, fortan an Appetitlosigkeit litt. Die letzten Stunden in Dresden verbrachten einige im Verkehrsmuseum, welches Aufmerksamkeit damit erregte, dass die Eintrittskarte zu einem Freibier im "Kleppereck" berechtigte. Andere nahmen beim Spanier einige Tapas als erstes oder zweites Frühstück zu sich.

Die Heimreise startete am Dresdner Hauptbahnhof im Regionalexpress nach Leipzig. Dort wurden dann erst mal die letzten Bierreserven unter der Annahme aufgebraucht, im IC nach Frankfurt befände sich ein Bistro. Dies war leider nicht der Fall, wie der Schaffner schon zu Fahrtbeginn mitteilte. Also setzten wir all unsere Hoffnung auf den Mann mit der Minibar. Leider Gottes war der Zug schon ab Dresden so voll, dass die Minibar gar nicht in die Nähe unseres Abteiles kam. Versuche einiger mutiger Stammtischler, nach vorne vorzudringen, scheiterten schon im Ansatz an der riesigen Menschenmenge im Zug. Nach 4 Stunden Durststrecke kamen wir dann endlich in Frankfurt-Süd an, wo dann der nächstbeste Getränkeautomat gestürmt wurde. Der Rest der Heimfahrt in der Dreieichbahn verlief weniger spektakulär, sodass wir dann müde aber wenigstens nicht mehr durstig gegen 23 Uhr in Münster eintrafen.

 

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